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Apfelallergie: Was Sie vor dem Reinbeissen wissen sollten
Für viele Menschen mit einer Birkenpollenallergie ist der Biss in einen frischen Apfel kein Genuss, sondern mit unangenehmen Beschwerden verbunden: Juckreiz an Lippen, Gaumen oder im Hals sowie Schwellungen im Mundbereich gehören zu den typischen Symptomen einer sogenannten Kreuzallergie.
Warum Äpfel bei Birkenpollenallergie Beschwerden auslösen
Auslöser dafür ist das Protein «Mal d 1», das Hauptallergen im Apfel. Es ist dem Birkenpollenallergen «Bet v 1» strukturell sehr ähnlich. Durch diese Ähnlichkeit kann das Immunsystem allergischer Personen diese beiden Proteine nicht klar unterscheiden und reagiert auf den verzehrten Apfel, als handele es sich um Pollen. Diese Verwechslung zwischen den allergieauslösenden Proteinen in rohem Obst und im Pollen erklärt die Bezeichnung «Kreuzallergie» für diese Reaktion.
Während der Birkenpollensaison (April/Mai) sind die Schleimhäute und das Immunsystem zudem bereits stark beansprucht, was die allergischen Symptome beim Verzehr roher Äpfel im Frühling und Sommer verstärken kann.
Auch gut zu wissen: manche Menschen mit einer Birkenpollenallergie reagieren auch auf andere rohe Früchte oder Gemüse, zum Beispiel auf Birnen, Kirschen oder Karotten. Diese Nahrungsmittel enthalten ebenfalls Proteine, deren Struktur dem Birkenpollenallergen «Bet v 1» ähnelt.
Verträglichkeit: viele Faktoren sind beteiligt
Wie stark ein Apfelallergen wirkt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend sind Sorte, Anbaubedingungen, Reifegrad und die Lagerbedingungen nach der Ernte[1]. So kann sich der «Mal d 1» Gehalt bei manchen Sorten während der Reifung und bei der Lagerung bei Raumtemperatur deutlich erhöhen, während dies bei anderen Sorten nicht der Fall ist[2]. Zudem hat jede Person eine eigene Toleranzgrenze.
Alte Sorten oft besser verträglich
Erfahrungen zeigen, dass viele Betroffene alte Sorten wie Boskoop, Gravensteiner oder Goldparmäne besser vertragen als moderne Sorten wie Golden Delicious. Zudem wurden in den letzten Jahren neue Sorten gezüchtet, die als allergikerfreundlich beschrieben wurden. Trotzdem gilt: Nicht selbst experimentieren. Stark sensibilisierte Menschen können auch auf vermeintlich verträgliche Sorten heftig reagieren, in seltenen Fällen sogar mit anaphylaktischen Symptomen.
Verarbeitung kann helfen
Auch die Zubereitung beeinflusst die Verträglichkeit. Durch Erhitzen beim Kochen, Backen oder Braten verändert sich die Struktur der Allergene. Deshalb reagieren Betroffene meist auf rohe Äpfel, vertragen aber verarbeitete Produkte wie Apfelmus, Apfelkuchen oder -kompott. Auch pasteurisierter (erhitzter) Apfelsaft ist meist möglich. Wer jedoch schon einmal starke Reaktionen auf rohe Äpfel hatte, sollte vorsichtig sein. Neue Apfelsorten oder Zubereitungsarten sollten erst nach Rücksprache mit dem behandelnden Arzt ausprobiert werden.
Kann man sich an Äpfel gewöhnen?
Interview mit Prof. Dr. med. Camillo Ribi
Immer wieder wird diskutiert, ob eine Art Desensibilisierung durch regelmässigen Apfelverzehr möglich ist, ähnlich wie bei der spezifischen Immuntherapie (Hyposensibilisierung), die bei der Pollenallergie sehr wirksam ist. Wir haben dazu Dr. Camillo Ribi befragt. Er ist Leitender Arzt in der Abteilung für Immunologie und Allergie am Universitätsspital Lausanne (CHUV).
1. Kann ich mich durch regelmässiges Apfelessen an das Allergen gewöhnen?
Bei einigen Betroffenen mit milder Reaktion kann tatsächlich eine gewisse Toleranzentwicklung beobachtet werden. Das passiert zum Beispiel, wenn täglich eine kleine Portion Apfel gegessen wird. Allerdings ist das kein standardisierter Ansatz und funktioniert nicht bei allen. In manchen Fällen können Selbstversuche sogar kontraproduktiv sein. Deshalb wird empfohlen, eine Desensibilisierungsverfahren nur unter ärztlicher Aufsicht durchzuführen.
2. Wie läuft eine solche Desensibilisierung konkret ab?
In der Praxis wählen wir gemeinsam mit der Patientin oder dem Patienten eine Apfelsorte aus – idealerweise eine Sorte mit hohem Gehalt an «Mal d 1» und ganzjährig verfügbar, wie z. B. Golden Delicious. Der Apfel wird dann roh und unter ärztlicher Aufsicht verzehrt: zunächst in sehr kleinen Mengen, danach – sobald die erste Schwelle mit Symptomen überwunden ist – ein Apfelviertel bis hin zu einem ganzen Apfel.
Es kann zu einer Reaktion kommen. In diesem Fall wird die Desensibilisierung nach Abklingen der Symptome erneut aufgenommen. In der Regel ist es möglich, die Menge zu steigern und schliesslich die Dosis zu überschreiten, die ursprünglich eine Reaktion ausgelöst hatte. Die Patientinnen und Patienten werden während des gesamten Prozesses engmaschig überwacht, bis sich eine Toleranz einstellt.
Sobald ein Apfelviertel gut vertragen wird, kann dieselbe Menge am nächsten Tag ohne Symptome gegessen werden. Es ist dann sehr wichtig, diese Toleranz aufrechtzuerhalten, indem täglich ein Stück roher Apfel verzehrt wird. Bei einer Unterbrechung von mehreren Tagen ist es wahrscheinlich, dass die Allergie wieder auftritt.
Wichtig zu beachten: Dieses Verfahren ist keine offiziell anerkannte Therapie, sondern ein individueller Ansatz, der bei leichten Apfelallergien angewendet werden kann.
3. Gibt es eine Alternative für Personen mit starker Apfelallergie?
Eine spezifische Immuntherapie gegen Birkenpollen kann in manchen Fällen dazu beitragen, Kreuzreaktionen auf Äpfel zu verringern. Allerdings ist es nicht ungewöhnlich, dass diese Behandlung keinen Einfluss auf das sogenannte orale Allergiesyndrom hat. Gelegentlich kann es sogar vorkommen, dass sich eine Apfelallergie erst im Verlauf der spezifischen Immuntherapie gegen Birkenpollen entwickelt. In einem solchen Fall sollte dies der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt, die bzw. der die Desensibilisierung verordnet hat, unbedingt mitgeteilt werden.
Vereinzelte Symptome nach dem Verzehr von Äpfeln allein stellen daher noch keine ausreichende Indikation für eine spezifische Immuntherapie gegen Birkenpollen dar. Eine allergologische Abklärung ist hingegen sinnvoll, um festzustellen, ob die Beschwerden im Mund- und Rachenraum nach dem Verzehr von Äpfeln oder anderen rohen Früchten und Gemüsesorten tatsächlich auf eine Kreuzallergie zurückzuführen sind.
In seltenen Fällen kann eine Apfelallergie auf eine schwerere Form zurückgehen, die unabhängig von einer Birkenpollenallergie ist. In solchen Fällen richtet sich die Immunreaktion nicht gegen das Protein «Mal d 1», sondern gegen andere Proteine des Apfels. Diese Form der Apfelallergie kann derzeit nicht durch eine Desensibilisierung behandelt werden. Der vollständige Verzicht auf Äpfel bleibt dann die einzige mögliche Massnahme.
Fazit: Keine Sorte ist pauschal „sicher“ – Beratung ist zentral
Auch wenn bestimmte Apfelsorten besser vertragen werden, bleibt die Stärke der Kreuzreaktionen auf dieser Frucht individuell unterschiedlich. Jede Person mit einer Apfelallergie sollte daher die Diagnose und das weitere Vorgehen mit ihrer Ärztin oder ihrem Arzt besprechen.